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Selbst ernannte Grenzschützer machen Jagd auf Flüchtlinge
Sie nennen es "gesunde Spaziergänge". In Ungarn und Bulgarien jagen Zivilisten systematisch Flüchtlinge. Um diese der Polizei zu übergeben – oder angebliche Übergriffe auf Frauen zu verhindern.
Hristo Atanasow hat zwei Leben. In dem einen arbeitet er als Koch in der bulgarischen Hafenstadt Burgas. "Sushi", erklärt er. Atanasow hat in den USA gelebt und mehr als fünf Jahre in England, um ein wenig Geld zu verdienen. Doch das Heimweh trieb ihn zurück nach Bulgarien.
Dort führt er jetzt auch sein zweites Leben – als "Patriot", wie er sich selbst nennt. Er hat eine patriotische "Organisation zum Schutz bulgarischer Bürger" gegründet. Die Mitglieder pflanzen Bäume, organisieren Fackelzüge zum Nationalfeiertag – und sie jagen Migranten.
An Wochenenden tauscht Atanasow die Kochschürze gegen Militärkleidung und geht mit Gleichgesinnten im nahe gelegenen Strandscha-Gebirge "spazieren". Weil es dort schön sei, ein Naturschutzgebiet, sagt Atanasow in perfektem Englisch mit amerikanischem Akzent. Vor allem aber, weil dort Migranten illegal über die Grenze kommen.
Bürgerwehren abseits staatlicher Strukturen
Als Erstes erspähten sie immer die Schlepper. "Sie laufen 200, 300 Meter voran, um zu sehen, ob die Luft rein ist", erzählt er. Die Migranten bekämen Angst, wenn sie Atanasow und die anderen Männer sähen. "Sie denken, wir sind die Polizei", sagt er. Sie sind zwar nicht die Polizei, aber sie halten die Flüchtlinge fest und übergeben sie den bulgarischen Sicherheitskräften – mehr als 50 Migranten haben sie bisher schon gefasst.
Was Atanasow und seine etwa 30 Mitstreiter machen, findet sich nicht nur an der bulgarischen, sondern auch an der ungarischen Grenze – abseits der staatlichen Strukturen. Selbst ernannte Schützer der Grenzen nehmen Migranten fest. "Um Europa und Bulgarien vor dieser Migranteninvasion zu schützen", sagt Atanasow.
Seit einigen Wochen wird in einigen Medien über solche Bürgerwehren berichtet, die sich als Retter ihrer Staaten feiern. Immer wieder sollen die "Grenzschützer" Migranten auch verprügelt oder ausgeraubt haben.
Davon will Atanasow nichts wissen. "Wir sind ganz anders", sagt er. "Wir sind ein registrierter Verein und koordinieren unsere Aktivitäten mit der Polizei."
Flüchtlinge werden verprügelt und ausgeraubt
Doch selbst der Umgang der Polizei mit den Menschen, die in Bulgarien illegal die Grenzen übertreten, soll nicht immer den Gesetzen folgen. Flüchtlinge berichten von Misshandlungen durch die bulgarische Polizei. Davon, dass sie verprügelt, ausgeraubt und in die Türkei zurückgejagt wurden – bis sie es bei wiederholten Versuchen dann doch schafften, die Grenze zu überqueren.
Atanasow plädiert für ein hartes Durchgreifen – so wie auch in Ungarn unter Ministerpräsident Viktor Orbán. "Die machen es richtig", sagt er. "Und sie helfen Bulgarien, seine Grenze zu schützen." Er ist überzeugt, dass ungarische Polizisten "wie die bulgarischen erst einmal zuschlagen, wenn Idioten sich auf der Straße prügeln". Anders als im saft- und kraftlosen Westen, meint er.
In Westungarn, in der Stadt Györ, leitet Miklós eine Bürgerwehr. Seinen richtigen Namen will er lieber nicht sagen. Er steht in der Nähe des örtlichen McDonald's-Restaurants. Dort verhandelt ein stämmiger Iraker mit einer Gruppe Migranten. "Ein Schlepper", sagt Miklós. Die Gruppe zerstreut sich, als sie Miklós – in Begleitung einiger durchtrainierter Freunde – erblickt. "Sie kennen uns gut", sagt er.
"Besorgte Bürger" ziehen abends durch die Stadt
Als 2009 die Ungarische Garde gegründet wurde, die heute verbotene Miliz der rechten Jobbik-Partei, war er als einer der Ersten dabei. "Gründungsmitglied", sagt er stolz. Bis heute fühlt er sich seinem Garde-Schwur verpflichtet, und das gilt auch für die meisten anderen einer Truppe von rund 40 "besorgten Bürgern", die in wechselnder Besetzung abends durch die Stadt ziehen, nach der Arbeit, und Ausschau halten nach Migranten.
Dort sind meist Menschen aus dem benachbarten Flüchtlingslager in Vámosszabadi unterwegs. "Wir sprechen sie an, fragen, was sie hier machen", sagt Miklós. "Wir versuchen, ihnen zu erklären, dass hier andere Regeln gelten als in ihren Heimatländern. Etwa, wie man mit Frauen umgeht." Am Ende "eskortieren wir sie zu der Haltestelle, wo der Bus zurück zum Flüchtlingslager anhält".
Auch zwei Frauen gehören zu Miklós' Gruppe. Eine von ihnen ist Melissa Mészaros. Sie arbeitet in einem Kaffeehaus und erzählt, wie sie dort hinter dem Tresen von einem Palästinenser begrapscht worden sei. Inzwischen hat das Lokal zwei Sicherheitsleute angestellt, aber auch die "Gardisten" schauen regelmäßig rein. Seither, sagt sie, gibt es weniger Probleme.
Flüchtlingsjäger organisieren sich über Facebook
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kek